Drei Tage Demonstrationen gegen Kriegspolitik
Bereits am Dienstag, den 21.5.2002 hatten sich zur bundesweiten Großdemonstration über 70.000 Menschen in Berlin versammelt und waren friedlich vom Bebelplatz/Unter den Linden bis zur Abschlusskundgebung am Alexanderplatz gezogen. Bei der Kundgebung brachten Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften, Globalisierungskritikern und israelischen wie palästinensischen Friedensgruppen die Kritik an der Politik der USA und von Rot-Grün auf den Punkt. "Wir wollen Ihre Kriege nicht, Herr Präsident. Wir wollen überhaupt keinen Krieg!". Ebenso wurde die neoliberale Globalisierung verurteilt, die weltweite Ungleichheit, Ungerechtigkeit und soziale Verelendung verschärft und damit einen Nährboden für Terrorismus und Krieg erzeugt. Der rücksichtslose Unilateralismus der Bush-Administration (z.B. Blockade gegen den internationalen Strafgerichtshof und das Kyoto-Protokoll) wurde scharf kritisiert. Diese Kritik an der Politik von Bush und Rot-Grün wurde durch Redebeiträge und Musikdarbietungen von prominenten RednerInnen (z.B. Horst Schmitthenner, IG Metall; Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung) und Künstlern (Barbara Thalheim, Konstantin Wecker) vermittelt.
Am Mittwoch, den 22.5., war der Tag der bundesweiten dezentralen Aktionen, zu denen die "Achse des Friedens" und vielerlei andere Gruppen aufgerufen haben. "In über 60 Städten haben Menschen mit gemeinsamem "Bush-Trommeln" um 18 Uhr ein eindrucksvolles bundesweites Signal gegen die Politik der US-amerikanischen und deutschen Regierung gesetzt", sagte Philipp Hersel von der "Achse des Friedens" und von Attac.
In Berlin gab es eine Grossdemonstration mit über 30.000 Teilnehmenden, die sich nach dem Trommeln um 18 Uhr in Bewegung setze. Diese Demonstration verlief vollkommen friedlich und war ebenso bunt und vielfältig wie die des Vortages. Bereits im Laufe des Tages haben Tausende an dem festivalartigen Veranstaltungsprogramm auf der "Achse des Friedens" vom Berliner Dom bis hin zur Humboldt Universität teilgenommen. Parallel zur Grossdemonstration fand ein ökumenisches Gebet der Weltreligionen vor dem Berliner Dom statt. Insgesamt habe auf diese Weise ca. 40.000 Menschen an der Veranstaltung "Achse des Friedens" in Berlin teilgenommen.
Als die Demonstration gegen ca. 20.30 am Lustgarten eintraf, hatte die Polizei ohne weitere Rücksprache mit der "Achse des Friedens" das Kundgebungsgelände wesentlich eingeschränkt, indem statt der vereinbarten Absperrung am Bebelplatz eine Kette von Polizeifahrzeugen und behelmten Beamten die Schlossbrücke abriegelte und so in unmittelbarer Nähe zur eintreffenden Demonstration sichtbar einsatzbereit aufmarschiert war. Daraufhin stellte sich ein Block jugendlicher Aktivisten ca. 40 Meter gegenüber der Polizeisperre auf und ließ sich durch die Polizei zu ca. 8 bis 10 Flaschenwürfen provozieren. Diese stellten jedoch keinerlei Bedrohung dar, da die Flaschen ausschließlich innerhalb des 40 Meter breiten Streifens auf den Boden fielen. Zudem hatten Ordner der "Achse des Friedens" eine Kette zwischen Polizei und Demonstranten gebildet. Zu diesem Zeitpunkt hat die "Achse des Friedens" ihre Demonstration beendet. Der "Achse des Friedens" wurde zu diesem Zeitpunkt von der bis dahin zuständigen Einsatzleitung der Berliner Polizei mitgeteilt, dass sie ab sofort durch eine anderen Einsatzleitung abgelöst werde. Die "Achse des Friedens" unterstreicht, dass es bis dahin, auch schon am Dienstag, eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit der Polizei gegeben hat. Die neue Einsatzleitung verfügte daraufhin offenbar, dass Beamte des Bundesgrenzschutzes vom diagonal gegenüberliegenden Alten Museum (Ecke zum Berliner Dom) quer durch tausende friedlich auf dem Lustgarten sitzende Demonstrantinnen und Demonstranten zur Unterstützung Richtung Schlossbrücke losgeschickt werden.
"Da saßen Tausende friedlich auf dem Boden und hörten der Musik zu, und plötzlich pflügt der Bundesgrenzschutz in Hundertschaften diagonal da durch", beschreibt Ruben Lehnert die plötzlich neue Einsatzstrategie der Polizei. "Die Menschen wurden systematisch von der Polizei verängstigt und Hysterie geschürt. Das war nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern aggressiv.". Der Wechsel in der Einsatzleitung kombiniert mit dem "Durchpflügen" seitens des Bundesgrenzschutz erweckt aus Sicht der "Achse des Friedens" stark den Eindruck, dass die Polizei sich ab diesem Zeitpunkt von jeglicher deeskalierender Strategie verabschiedet hat. "Von diesem Zeitpunkt an hatte die Polizei offensichtlich keinerlei Interesse mehr daran, dass unsere Veranstaltung friedlich zu Ende geht." erklärt Lehnert.
H.-P. Richter, ein Mitorganisator, schildert das Ende der Demonstration: "Als wir von der Bühne aus das aggressive Geschehen verfolgten, kam uns die spontane Idee mit der großen Pappmache-Friedenstaube der Friedensinitiative Wilmersdorf, die ja bei allen Demos seit 1981 dabei ist, einzugreifen. Immer wenn sich wieder eine neue Polizeikette gebildet hatte, trugen wir die Friedenstaube dorthin. Die Folge war Verblüffung auf beiden Seiten. Polizisten und Demonstranten standen nebeneinander und wussten nicht, was sie tun sollten. Wir riefen: 'Wir wollen Frieden und keine Gewalt!' Die Umstehenden klatschten und riefen 'Bravo!!', die Situation beruhigte sich. Dann eilten wir mit der Taube zum nächsten «Brandherd». Das ging eine ganze Stunde so. Der Polizeieinsatz war fragwürdig und sinnlos. US-Präsident Bush war bereits abgereist, es gab keine (brennenden) Autos, keine neuen Flaschenwürfe. Um 23 Uhr verließen wir mit der Taube den 'Kampfplatz'. Danach setzte die Polizei Wasserwerfer ein und vertrieb die letzten vom Lustgarten."